Hartz IV und die Proteste dagegen – Ein Rückblick
05. Dezember 2025Soziale Proteste gegen den Klassenkampf von oben wären heute so notwendig wie lange nicht mehr. Mit den Verschlechterungen der sozialen Lage in den letzten Jahren wäre genügend Zündstoff für einen allgemeinen Aufschrei und diesem dann auf den Fuß folgende Protestwellen gegeben.
Was es gab, waren meist handzahme Proteste und Kämpfe, die oft nicht über Anfänge hinauskamen. Vereinzelte Ansätze, wie das Berliner Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, die Streiks im Gesundheitswesen, Arbeitskämpfe der Fahrradkurier*innen etc. machen jedoch Hoffnung, dass es auch anders gehen kann.
Ansätze von Stadtteilarbeit, die in den letzten Jahren in Vierteln vieler Städte entstanden sind, die die soziale Frage in den Mittelpunkt einer klassenkämpferischen Praxis vor Ort stellen, bieten darüber hinaus eine Perspektive, die es der radikalen Linken in diesem Land ermöglicht, sich in der lohnarbeitenden Klasse zu verankern. Voraussetzung ist hier, dass die Aktivist*innen nicht einmal mehr auf das Abgleiten in wokere Tätigkeitsfelder dringen. Stadtteilarbeit erfordert einen langen Atem und den Durchhaltewillen der Akteur*innen.
Eine Politik, die an der Basis ansetzt, das macht Hoffnung, und der Blick in die Vergangenheit kann dazu beitragen, voranzukommen.
In diesem Zusammenhang machten wir uns Gedanken, wie das früher aussah, was unternommen wurde, um sich in der BRD in der Arbeiter*innenklasse zu verankern, den Klassenkampf ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen und voranzutreiben.
Der Rückblick auf linke klassenkämpferische Praxis der Vergangenheit soll dazu ermutigen, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und kann hilfreich sein, Mobilisierungen und Widerstand etc. für die Zukunft weiterzuentwickeln.
Als knapper Aufschlag dazu hier ein Blick auf den Kampf gegen die Einführung von Hartz IV.
Reform-Agenda als Angriff (Beginnen wir am Anfang)
Die internationale Konkurrenz nimmt bereits Anfang der 2000er Jahre auch für das in Deutschland verortete Kapital zu. Von der sozialdemokratisch-grünen Koalition unter Gerhard Schröder wird Anfang 2003 als Antwort darauf das Hartz-Konzept als Teil der Agenda 2010 auf die Tagesordnung gesetzt. Sozialraub auf breiter Ebene, Kürzungen und Streichungen in allen Absicherungssystemen werden vorangetrieben. Ziel ist es, in der BRD einen größeren Billiglohnmarkt zu schaffen, um das in Deutschland verortete Kapital, durch geringe Lohnkosten, international konkurrenzfähig an der Weltspitze zu halten.
Dieser Generalangriff auf die Interessen der Mehrheit war ein offener Bruch der von der Sozialdemokratie und auch den Grünen bis dahin propagierten Sozialpartnerschaft. Einst erkämpfte sozialstaatliche Standards, die bis dato der arbeitenden Klasse in der BRD auch zugestanden wurden, waren nun offen zum Abschuss freigegeben.
Ermöglicht wurde dies einerseits mit einer langen, von Politik und Medien betriebenen Hetzkampagne gegen Arme und Erwerbslose. Andererseits konnte ein solcher Plan nur von den auf Sozialpartnerschaft eingeschworenen bürgerlichen Parteien durchgesetzt werden, deren Eliten den Chef/die Chefin und dessen/deren Interessen immer im Kopf hatten. So trug die Sozialpartnerschaft in den Köpfen ihrer Propagandist*innen, von denen nicht wenige auch in den Führungsetagen des DGB saßen, letztlich zum Ende jener Sozialpartnerschaft bei.





Kampf gegen die Agenda 2010
In einigen Städten haben sich bereits vor dem Beginn der Hartz IV-Debatte erste Ansätze einer radikalen Erwerbslosenbewegung herauskristallisiert.
An Klassenkampf orientierte Gruppen der Jobber*innen- und Erwerbslosen-Bewegung der achtziger Jahre, die sich vielfach als Initiativen institutionalisiert hatten, aber dennoch systemkritisch auftraten, stießen hier auf Intellektuelle und eine jüngere Generation von autonomen linksradikalen Aktivist*innen, die sich der bis dahin schleichend voranschreitenden Verschärfung der eigenen Lebensbedingungen entgegenstellen wollten. Auch durch strategische Diskussionen getrieben, stellten diese den Klassenkampf stärker in den Mittelpunkt der eigenen Praxis. Gemeinsam mit gewerkschaftlichen Basisinitiativen, politisierten Einzelpersonen und vielen Betroffenen setzten diese erste Punkte des Widerstandes gegen den Klassenkampf von oben.
Diese Entwicklung brachte Angehörige der Arbeiter*innenklasse zusammen und führte zu organisierten Protesten. So kam es im Rahmen von Erwerbslosenprotesten in Berlin zu einem Versuch, das sogenannte Rote Rathaus zu stürmen. Im November 2003 fand dann eine von gewerkschaftlichen Basisinitiativen organisierte Demonstration gegen die Agenda 2010 und Hartz IV statt. Eine erfolgreiche Mobilisierung, an der sich hunderttausend Menschen beteiligten und ein Signal setzten.
Aus Protest gegen die auf sie zurollende Dampfwalze Agenda 2010 und die Hartz IV-Gesetze organisierten Betroffene im Juli 2004 in Magdeburg eine sogenannte Montagsdemo. Diese war letztlich der Startschuss für eine Bewegung von unten. Erwerbslose, Ungelernte, Facharbeiter*innen, Alleinerziehende – wer die Gefährdung der eigenen Absicherung, des eigenen Lohns durch die Hartz IV-Gesetzgebung erkannte, ging nun auf die Straße, wurde aktiv. Bundesweit entstanden in unzähligen Städten Montagdemonstrationen. Teils von Einzelpersonen organisiert, teils von organisierten Linken mit Unterstützung von Erwerbsloseninitiativen auf die Beine gestellt. Es waren Tausende, die sich nun jeden Montag in Bewegung setzten und zahlreiche Aktivitäten entwickelten.
So entstand auch in Nürnberg eine Montagsdemonstration, die dann schnell im Rahmen des gerade gegründeten Sozialforums organisiert wurde.
In Nürnberg beteiligte sich neben Betroffenen Einzelpersonen, verschiedene Initiativen, linke Parteien, Organisationen und Gruppen, darunter auch die Organisierte Autonomie.
Angesichts der bundesweit eher unsteten, wechselhaften und oft reformistischen Ausrichtung der Montagsdemos und größerer Mobilisierungen, begann im Nürnberger Sozialforum auf Initiative der OA die Diskussion über eine eindeutig links und radikal ausgerichtete bundesweite Demonstration zur Bundesagentur für Arbeit.
Viele Basisinitiativen aus dem gesamten Bundesgebiet werden mobilisiert. Gemeinsam brachten diese im November 2004 in Nürnberg 10.000 Demonstrierende auf der Straße. Darunter ein von der OA organisierter Block, an dem 2500 Menschen teilnahmen.
Die letzten Mobilisierungen gegen den sozialen Kahlschlag durch Hartz IV und damit den letzten Höhepunkt der Proteste markierte die Kampagne Agenturschluss, in deren Rahmen Tausende vor und teils in den Ämtern ihrem Protest Ausdruck verliehen. Die soziale Bewegung blieb jedoch noch eine ganze Zeit aktiv. Ein konkreter Ansatzpunkt war z. B. die Kampagne für ein Sozialticket.
Gründe, warum die Verhinderung der Hartz IV-Gesetzgebung nicht erreicht werden konnte, gibt es viele
Einer lag sicher im mangelnden Streikwillen der DGB-Gewerkschaften. Trotz großem Druck von Teilen der Basis, zogen es die Funktionär*innen an der Seite der sozialdemokratisch-grünen Regierung vor, die Hartz-Gesetze geschehen zu lassen.
Die traditionelle Linke, die innerhalb der Proteste in vielen Städten besser verankert war als die radikale Linke und die Autonomen etc., hatte keine Mittel und keine Vorstellung, wie man die Proteste vorantreiben, aktionsfähiger machen und eskalieren könnte, um dadurch durchsetzungsfähiger zu werden. Die radikale Linke war zu schwach, kulturell zu weit entfernt von jenen, die sich da bewegten und es gelang ihr nicht, bundesweit entscheidenden Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Ausnahmen wie Berlin, Nürnberg und einige wenige andere Städte bestätigen hier die Regel.

