Eine neue Epoche?
05. Dezember 2025Über den Wandel des Kapitalismus
Zeitenwende, Epochenbruch, neue Weltordnung, Kriegstüchtigkeit … Mit diesen und vielen weiteren Worten werden wir auf die bereits stattfindenden und sich in der kommenden Zeit zuspitzenden Veränderungeneingestimmt – konkret: Krieg, Sozialabbauund die damit einhergehende gesellschaftliche Rechtsentwicklung.
Um es etwas konkreter zu fassen: Während in der Industrie Massenentlassungen1 stattfinden, Lohnraub vollzogen wird und eine tiefe Unsicherheit und Angst vor sozialem Abstieg um sich greift, verdichtet sich gleichzeitig die Intensität der Arbeit immer mehr. Hier reihen sich auch die Diskussionen über die Einführung der 48-Stunden-Woche und der Rente ab 70 ein. Während hunderte Milliarden in die Aufrüstung fließen, werden soziale Leistungen gestrichen, die öffentliche Infrastruktur zerbröckelt immer weiter und uns wird geraten, „den Gürtel enger zu schnallen“. Während Konzerne Steuererleichterungen und billigere Strompreise bekommen, steigen die Lebenshaltungskosten für uns bei stagnierenden Löhnen. Dabei wundert es nicht, dass das Vertrauen in die Politik zunehmend verloren geht und rechte Politik Zulauf erhält.
Kurz gesagt: Der Ton wird rauer und es scheint sich etwas zu verändern. Wir wollen in aller Kürze näher hinschauen und einen Blick auf diese Veränderungen werfen.
Weltordnung im Umbruch

Der Status des bisherigen Welthegemon – der USA – bröckelt und mit ihm die sog. „westliche Wertegemeinschaft“. Einer der Hauptgründe dafür ist der Aufstieg Chinas in den letzten Jahrzehnten. China hat sich – zwar mit langem Anlauf, aber dann innerhalb von wenigen Jahren – von der „Werkbank“ der EU und der USA zur globalen Wirtschaftsmacht entwickelt und ist bspw. in Sachen Technologie, KI, aber auch in der Aufarbeitung seltener Erden nicht nur auf Augenhöhe, sondern mindestens einen Schritt voraus. Daran ändern auch die Wirtschaftssanktionen und erhobenen Zölle der USA und der EU nichts. Nicht zuletzt spiegelt sich das auch im Wirtschaftswachstum wiederund darin, dass China – trotz Wirtschaftssanktionen – 2025 wieder zum wichtigsten Handelspartner der BRD geworden ist.
Doch nicht nur die technologische Führung, sondern auch die geopolitische Strategie Chinas spielt dabei eine Rolle. China strebt (zumindest aktuell) eine multipolare Weltordnung an und steht damit in direkter Konkurrenz zur „unipolaren“ Weltordnung der USA. Dies geschieht durch strategische Investitionen weltweit. Aber es passiert auch durch den Aufbau multilateraler breiter Bündnisse und globaler Interessensgemeinschaften wie den BRICS2 oder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ)3. Und während die „westlichen“ Bündnisse wie G7, G20 und selbst der IWF an Bedeutung verlieren, spielen BRICS und SOZ eine immer größere Rolle in der globalen Wirtschaft.
Mit diesen Bündnissen geht auch eine gewisse Emanzipation des Globalen Südens einher. Damit ist gemeint, dass sich Länder, die sich früher in eindeutiger kolonialer und neokolonialer Abhängigkeit befunden haben, von Fall zu Fall entscheiden können, ob sie den „amerikanischen“ oder den „chinesischen“ Weg gehen wollen – oder sich sogar für einen eigenen Weg entscheiden können.
Das bringt das „Welthegemon-Modell“ USA nicht unerheblich ins Wanken. Vor diesem Hintergrund ist auch die Abkehr der USA von ihrer Rolle als ‚Weltpolizei‘ und die damit einhergehende Renationalisierung zu verstehen: So forderte Washingtonvon den übrigen NATO-Staaten zunehmend, mehr „militärische Verantwortung“ zu übernehmen, was nicht zuletzt auch dazu geführt hat, dass die Vorgabe für Rüstungsausgaben auf 5 % des BIPs angehoben wurde,was in Deutschland zwischen 170 und 200 Milliarden Euro und 40 % des Bundeshaushalts jährlich bedeutet.Die Renationalisierung wird dabei nicht nur ideologisch durch Kampagnen wie „Make America Great Again“ vorangetrieben, sondern vor allem wirtschaftlich durch die breite Verhängung von Strafzöllen und Wirtschaftssanktionen und durch die Rückverlagerung der Produktion in die USA. Dies alles sind Maßnahmen, um wieder ökonomisch an Einfluss zu gewinnen. In diesem Zusammenhang muss auch das verstärkte Interesse der USA an Lateinamerika „als Hinterhof der USA“ gesehen werden, z.B. an Venezuela.
Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich auch Russland, das sich durch den Angriffskrieg auf die Ukraine versucht, gegen die Einkreisung und Isolierung zu wehren und damit den eigenen Bedeutungsverlust zu mindern. Die Bemühungen der USA rund um Trump, diesen Krieg schnell zu beenden, geschehen dabei nicht aus Menschenliebe, sondern vor allem aus der Notwendigkeit heraus, die Finanzen und das Militär gegen den Hauptfeind China einsetzen zu können.
Und die BRD?
Die BRD sieht angesichts der Machtverschiebung die Chance, sich zu einer führenden Militärmacht aufzuschwingen, in der Hoffnung, damit auch durch Rüstungsindustrie der tiefen Krise, die sich auf mehreren Ebenen ausdrückt, zumindest ein Stückchen entgegenwirken zu können.Durch Militärausgaben soll die Wirtschaft angekurbelt werden und z.B. der Krise der Autoindustrie – dem Steckenpferd der deutschen Exportwirtschaft – entgegengewirkt werden. Durch militärische Stärke soll der Bedeutungsverlust des „Westens“, der EU und insbesondere der BRD verhindert werden.
Vor diesem Hintergrund muss auch die Debatte um die Kriegstüchtigkeit – also die Ausrichtung der gesamten Gesellschaft auf Krieg – verstanden werden.
Doch die Veränderungen der Weltordnung lassen sich nicht nur geopolitisch erklären. Sie sind Ausdruck einer tieferliegenden, strukturellen multiplen Krise des Kapitalismus.
Die Krise des Kapitalismus
Denn zumindest der Kapitalismus im Westen befindet sich nicht einfach in einer „schwierigen Phase“, die aufgrund externer Faktoren hervorgerufen und dementsprechend auch gelöst werden kann. Nein, der Kapitalismus befindet sich hier in einer strukturellen Krise, die aus seinen inneren Widersprüchen heraus entsteht: Seit Jahrzehnten sinken in den meisten Branchen die Profitraten4, während gleichzeitig die Produktivität nicht mehr so wächst wie früher. Das heißt: Die Unternehmen können aus der Ausbeutung der Arbeitskraft nicht mehr genug für sich herausholen und haben aufgrund der wachsenden Überproduktion Schwierigkeiten, ihre Profite durch Verkauf zu realisieren.
Das führt auch zur Überakkumulation von Kapital – d.h., es gibt immer weniger profitable Anlagemöglichkeiten. Die Folge davon sind,
- dass immer neue, erfolgversprechende Investitionsmöglichkeiten gesucht und geschaffen werden, die in den allermeisten Fällen völlig an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen.
- dass immer neue „Finanzblasen“ entstehen, die früher oder später platzen werden.
- und dass der Staat immer stärker eingreift, um bspw. Banken, Konzerne und ganze Finanzzweige zu unterstützen oder gar zu retten.
Dies alles verstärkt dabei nur die Tendenz zur Krise.
Die Autoindustrie steht beispielhaft dafür. Jahrzehntelang konnten steigende Produktivität, billige Energie und globale Lieferketten die Profite durch den weltweiten Export sichern. Doch heute stößt dieses Modell durch hohe Energiepreise, bessere Konkurrenz, geringere Wertschöpfung an Elektromobilität und einen gesättigten Markt an Grenzen. Der Kapitalismus reagiert darauf, wie er immer reagiert: mit Kostenreduzierung, Druck auf Löhne, Verlagerung und staatlichen Subventionen.
Die Krise verschwindet dadurch nicht – sie wird nur weitergereicht und dadurch wiederum verschärft: nach unten zu den Lohnabhängigen und nach außen in internationale Konflikte.

Der Staat interveniert in der Krise
Angesichts dieser neuen Situation interveniert der Staat auch sichtbarer als zuvor zugunsten der Wirtschaft – oder genauer: des Kapitals. Dabei beweist dies das Gegenteil des immer vor sich her getragenen (neo-)liberalen Märchens, dass der Markt es schon regeln würde. Die aktuelle Situation zeigt: Der Markt regelt gar nichts selbst und er benötigt den intervenierenden Staat, damit Konzerne Verluste vermeiden und Profite für sich selbst einsacken können.
Und so werden Konzerne massiv unterstützt – mit Steuererleichterungen, billigeren Strompreisen und Subventionen. Argumentiert wird mit der Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen. Wie viel da tatsächlich dran ist, sieht man angesichts der Krise deutlich: Zehntausende von Stellen werden gestrichen und Lohnraub wird im großen Stil durchgeführt.
Auch die Förderung der Rüstungsindustrie kann als Maßnahme dieser Politik gesehen werden: Hier wird ganz im Sinne eines Kriegskeynesianismus5 auf Staatskosten diese Industrie gepusht, um die Krise abzufedern. Und um die Wirtschaft am Laufen zu halten und die Aufrüstung finanzieren zu können, werden tiefe soziale Einschnitte geplant und vorgenommen. Um das durchzusetzen, wird auf autoritäre und reaktionäre Maßnahmen gesetzt, wodurch auch rechte Politik und Bewegungen profitieren. Oder anders und etwas zugespitzt formuliert: Weil der Staat immer weniger verteilen kann und immer mehr durchsetzen muss, ersetzen autoritäre und reaktionäre Maßnahmen die bisherige soziale Befriedung.
Rechtsentwicklung – als Folge der Krise
So wundert es eben auch nicht, dass in dieser Situation eine gesellschaftliche Rechtsentwicklung stattfindet, die auf (rassistische) Spaltung, Nationalismus und autoritäre Maßnahmen setzt. Und damit meinen wir nicht nur die AfD. Viel mehr zeigt sich das im ganzen Parteienspektrum.
Ausgangsbedingung für das Erstarken der rechten Bewegungen sind aber die skizzierten realen sozialen Unsicherheiten wie bspw. Abstiegsangst, der steigende Konkurrenzdruck oder auch die Entwertung von Arbeit durch neue Technologien. Dies geht einher damit, dass in der Politik nur die Interessen der Wirtschaft und nicht die Interessen der Menschen repräsentiert werden. Unter diesem Eindruck erfahren rechte Parteien wie die AfD, die sich erfolgreich als Opposition gerieren, weltweit Aufwind.
Und das kommt nicht von ungefähr. Denn rechte Politik stabilisiert die kapitalistische Ordnung: Sie kanalisiert Wut nach unten statt nach oben, legitimiert Härte des Staates und bereitet ideologisch Krieg und Sozialabbau vor.
Epochenwandel oder alter Wein in neuen Schläuchen?
Wie dargestellt, handelt es sich also bei der Zeitenwende und dem Epochenbruch nicht nur um einen Marketing-Slogan, um die horrenden Militärausgaben zu rechtfertigen, sondern um eine Veränderung der Verhältnisse – allerdings nur in der Form.
Der Epochenbruch – bzw. die Reorganisation des Kapitalismus an die aktuellen Verhältnisse – ist angesichts der multiplen Krise kein Zufall. Die aktuelle kapitalistische Ordnung stößt an ihre Grenzen – und greift zur nächsten Form: staatlich gestützte Militarisierung, autoritäre Politik und Sozialabbau. Nicht neu, aber in dieser Kombination so zugespitzt, wie seit Jahrzehnten nicht mehr und entlarvt dabei seine menschenfeindliche Fratze viel offensichtlicher als zuvor.
D.h.: Der Kapitalismus verändert seine Form, aber nicht seine grundlegende Logik: Ausbeutung, Konkurrenz und Profitmaximierung bleiben bestehen.
Was tun? Ungehorsam jetzt und dort kämpfen, wo das Leben ist
Die Zeitenwende, der Sozialabbau und die Rechtsentwicklung sind keine getrennten Phänomene, sondern Ausdruck derselben gesellschaftlichen Umbrüche. Wenn der Kapitalismus und seine Profiteur*innen ihre Krise nach unten weiterreichen, wenn Militarisierung Alltag wird, der Klassenkampf von oben verschärft wird und rechte Politik das Klima vergiftet, dann braucht es – Epochenbruch hin oder her – Orte und Menschen, die dem etwas entgegensetzen. Genau dort setzen wir an: im Stadtteil, im Betrieb, im Alltag – überall da, wo wir leben und die Angriffe unmittelbar spüren. Dort gilt es,ungehorsam zu sein und diesen kollektiv zu organisieren.
Denn wenn wir nicht anfangen, uns zu organisieren, wird nicht nur jede weitere „Zeitenwende“ eine Verschlechterung unserer Lebensbedingungen bedeuten, sondern zunehmend auch unsere Möglichkeiten für ein gutes Leben für alle – zu Gunsten einiger weniger Profiteur*innen – immer weiter eingeschränkt. Deshalb bleibt es dabei: Der Hauptfeind steht im eigenen Land – ob bei Krieg, bei Sozialabbau oder bei der Rechtsentwicklung.
Daher gilt es dort zu kämpfen, wo das Leben ist – für eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse der Menschen zählen und nicht der Profit und diese ist unter den hiesigen Verhältnissen – Epochenbruch hin oder her – nicht zu machen, sondern nur in einer ganz anderen Gesellschaft – einer klassenlosen, solidarischen – einer freien kommunistischen – Gesellschaft.
Und für diese kämpfen wir.
Wie wir das machen, skizzieren wir hier in dieser Zeitung. Auf den folgenden Seiten findet ihr Hintergrundartikel, aber auch Einblicke in unseren Basis- und Stadtteilansatz und unsere Praxis.
Fußnoten
- Um nur einige Beispiele zu nennen: 13.000 Stellen bei Bosch, Siemens über 5.000 Stellen, VW über 35.000. Studien sprechen von weit mehr als 150.000 Stellenstreichungen bei deutschen Firmen. ↩︎
- BRICS ist ein Bündnis verschiedener Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika, u.a.), das als Gegenpol zur westlich dominierten Weltordnung entstanden ist. ↩︎
- Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist ein Zusammenschluss, der vor allem als sicherheitspolitisches und geopolitisches Gegengewicht zu westlichen Machtblöcken fungiert. Wichtigste Mitglieder sind China, Indien und Russland. ↩︎
- Profitrate bezeichnet das Verhältnis des erzielten Profits zum eingesetzten Kapital. ↩︎
- Kriegskeynesianismus bezeichnet eine Wirtschaftspolitik, bei der der Staat über massiv steigende Militärausgaben die Nachfrage ankurbelt und so Wachstum erzeugen möchte. ↩︎

