Basisarbeit in Griechenland: Ein Gespräch mit dem Kollektiv Rouvikonas

Basisarbeit in Griechenland: Ein Gespräch mit dem Kollektiv Rouvikonas

05. Dezember 2025 Aus Von oa

Wie machen andere eigentlich Basisarbeit? Auf der Suche nach Erfahrungen, aus denen wir lernen können, haben wir uns umgesehen – und sind dabei in Griechenland auf spannende Ansätze gestoßen. Dort entstanden im Zuge der von der Troika durchgesetzten Austeritätspolitik, des sozialen Kahlschlags und der massiven Armut und Arbeitslosigkeit zahlreiche Initiativen, die sich mit der Frage beschäftigen: Wie können wir an der Realität der Menschen ansetzen – und wie schaffen wir es, breite Teile der Klasse zu erreichen, zu aktivieren und zu organisieren?

Das hat unser Interesse geweckt und uns schließlich zu den Genoss*innen des Rouvikonas-Kollektivs geführt, mit denen wir ein ausführliches Interview geführt haben. Wir wollten wissen, wie ihre Arbeit konkret aussieht, unter welchen Bedingungen sie diese Arbeit leisten, welchen Herausforderungen sie begegnen und welche Erfahrungen sie dabei gemacht haben.

Das gesamte Interview findet ihr bald auf unserer Webseite.

1. Kannst du euer Kollektiv zunächst vorstellen: Wofür steht ihr, seit wann gibt es euch und wie strukturiert ihr euch?

Rouvikonas ist eine anarchistische politische Organisation, die 2015 in Athen gegründet wurde. Es ist vor allem eine kämpfende Struktur im sozialen Krieg, den Staat und Kapital täglich gegen die gesellschaftliche Basis – unsere Klasse – führen. Als politische Organisation ist unsere alltägliche Aufgabe, auf die unmittelbaren Bedürfnisse dieser Basis zu reagieren. Das bedeutet, Menschen unserer Klasse durch vielfältige Solidaritätsaktionen zu unterstützen. Das reicht von Solidaritätsküchen über Interventionen in Betrieben, um Arbeitgeber zur Auszahlung überfälliger Löhne zu zwingen, bis hin zur Gründung freiwilliger Feuerwehreinheiten – während wir zugleich diejenigen ins Visier nehmen, die für die Probleme verantwortlich sind, unter denen die Basis leidet. Das machen wir durch Angriffe auf und Aktionen gegen kleine wie große Arbeitgeber, auf Institutionen der Macht und vieles mehr.

Ob es einem gefällt oder nicht: Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen sind nur mit vielen Menschen möglich. Deshalb ist es unser Ziel, zu einer Massenorganisation heranzuwachsen, die unserer Klasse in Griechenland eine echte politische Alternative bieten kann. Anders gesagt: Wir wollen eine revolutionäre Massenorganisation werden.

Derzeit verfügt Rouvikonas über Dutzende von Ortsgruppen und Zellen im ganzen Land und mischt sich sowohl in überregionale politische Fragen als auch in lokale Auseinandersetzungen ein. Über die politischen Arbeitsbereiche der Organisation intervenieren wir in spezifische, klar umrissene politische Themenfelder: den feministischen Bereich, den Arbeitsbereich, den Jugendbereich, den antifaschistischen Bereich sowie den Bereich der freiwilligen Feuerwehr. In Athen haben wir zudem lokale Gruppen, die in die Realitäten der jeweiligen Stadtteile eingreifen: in Nord, Süd, West, Ost und in Piräus. Darüber hinaus gibt es Ortsgruppen von Rouvikonas in Thessaloniki, Pellas, Larissa sowie zahlreiche weitere Zellen in Städten und Gemeinden im ganzen Land.

2. Ihr verschreibt euch – wie wir – einem Basisansatz. Kannst du uns schildern wie dieser aussieht? Was versteht ihr darunter, was macht ihr und wie sieht eure politische Praxis aus?

Die politische Aktivität von Rouvikonas dreht sich um ein seit Langem bestehendes Konzept der anarchistischen Bewegung, das wir überarbeitet und aktualisiert haben: die Propaganda der Tat. Im Zentrum dieses Konzepts steht die Idee, dass das unmittelbare Handeln – die konkrete Tat – ein viel wirkungsvolleres Propagandainstrument sein kann als schriftliche Propaganda. Das Handeln kann Menschen bewegen und ihr Bewusstsein schärfen und damit dort wirken, wo Worte, Theorien und Analysen versagen. Das Handeln öffnet Augen und Ohren, bewegt Herzen und verleiht Gefühlen und Gedanken, die sonst unausgesprochen blieben, konkrete Gestalt. Das Handeln bricht endgültig mit Unsicherheit, mit dem Gefühl der Hilflosigkeit, mit Apathie, mit Angst. In unserem Versuch, die Menschen unserer Klasse anzusprechen und zu mobilisieren, damit sie aufhören, zu delegieren, und ihr Leben selbst in die Hand nehmen, gilt für uns: Eine Tat sagt mehr als tausend Worte.

Dieses umfassendere und innovative Verständnis von der „Propaganda der Tat“ ist eine der Antworten von Rouvikonas auf die Schwierigkeiten der historischen Phase, die wir gerade durchleben. Es bildet den Kern unseres Ansatzes, unsere Ideologie praktisch und konsequent basisorientiert umzusetzen. Durch die Umsetzung dieses Konzepts der Propaganda der Tat ist es unserer Organisation gelungen, den alten Fluch zu durchbrechen, der anarchistische Gruppen quantitativ auf kleine Gruppen von wenigen Individuen und qualitativ auf vorbestimmte und eng gefasste Themen beschränkt.

Bei unseren Aktionen geht es uns darum, deutliche Symbolik mit einem konkreten praktischen Effekt zu verbinden, ein breites Publikum zu erreichen und klare, zugängliche Botschaften zu vermitteln. Das heißt, wir führen gezielte Aktionen durch, deren Wahl des Ziels in gewisser Weise „für sich selbst spricht“. Aber wir versuchen, noch weiter zu gehen. Durch unsere Aktionen erinnern wir alle daran, dass Macht, Staat, Kapital und Patriarchat keine unantastbaren oder unfassbaren Systeme sind, sondern dass sie Gesichter und konkrete Funktionsweisen haben – sie haben Namen und Nachnamen.

Wir wollen Aktionen durchführen, bei denen die Wahl des Ziels und die Art der Durchführung nicht nur eine wirkungsvolle Symbolik vermitteln, sondern auch den Mut und die Ernsthaftigkeit demonstrieren, mit denen unsere Organisation agiert. Die erfolgreiche Durchführung von Aktionen von Aktivist*innen in einer Botschaft, einem Regierungsgebäude oder der Zentrale einer Bank oder eines großen Unternehmens – ohne dabei erwischt zu werden und damit den Sicherheitsapparat regelrecht vorzuführen – zeigt, dass unsere Organisation über das notwendige Wissen, den Mut und die Ernsthaftigkeit verfügt, um den revolutionären Kampf voranzutreiben. Die soziale Basis, unsere Klasse, nimmt all dies wahr, berücksichtigt es, schätzt die Organisation und unterstützt sie letztendlich direkt oder indirekt.

Dieses erweiterte Konzept der Propaganda der Tat ist ein starker Multiplikator für jede andere Praxis, die wir umsetzen. Durch unsere Aktionen haben wir uns einem großen Teil der Basis bekannt gemacht, von der ein erheblicher Teil mit uns sympathisiert und uns unterstützt. Wenn wir daher zu Spenden für den Kauf eines neuen Löschfahrzeugs, zur Sammlung von Grundbedarfsgütern für von Überschwemmungen betroffene Menschen oder zur Bereitstellung von Schulmaterial für Kinder in den Vierteln, in denen wir aktiv sind, aufrufen, folgt die Basis diesen Aufrufen, beteiligt sich und leistet substanzielle Unterstützung. Das Ausmaß der Unterstützung, die wir jedes Mal von der Gesellschaft erhalten, ist sicherlich zu einem großen Teil das Ergebnis der Arbeit, die Rouvikonas in den zehn Jahren seines Bestehens durch die Propaganda der Tat geleistet hat.